Galois Schweigen von Bernard Bychan


Portrait von Evariste Galois


Galois Schweigen

Liebe, Weißer Terror und Cholera


"Ich rede von der Cholera, die seitdem hier herrscht, und zwar unumschränkt, und die ohne Rücksicht auf Stand und Gesinnung tausendweise ihre Opfer niederwirft. Man hatte jener Pestilenz um so sorgloser entgegengesehn, da aus London die Nachricht angelangt war, daß sie verhältnismäßig nur wenige hingerafft. Es schien anfänglich sogar darauf abgesehen zu sein, sie zu verhöhnen, und man meinte, die Cholera werde ebensowenig wie jede andere große Reputation sich hier in Ansehn erhalten können. Da war es nun der guten Cholera nicht zu verdenken, daß sie aus Furcht vor dem Ridikül zu einem Mittel griff, welches schon Robespierre und Napoleon als probat befunden, daß sie nämlich, um sich in Respekt zu setzen, das Volk dezimiert. Bei dem großen Elende, das hier herrscht, bei der kolossalen Unsauberkeit, die nicht bloß bei den ärmern Klassen zu finden ist, bei der Reizbarkeit des Volks überhaupt, bei seinem grenzenlosen Leichtsinne, bei dem gänzlichen Mangel an Vorkehrungen und Vorsichtsmaßregeln, mußte die Cholera hier rascher und furchtbarer als anderswo um sich greifen. Ihre Ankunft war den 29. März offiziell bekanntgemacht worden, und da dieses der Tag des Demi-carême und das Wetter sonnig und lieblich war, so tummelten sich die Pariser um so lustiger auf den Boulevards, wo man sogar Masken erblickte, die in karikierter Mißfarbigkeit und Ungestalt die Furcht vor der Cholera und die Krankheit selbst verspotteten. Desselben Abends waren die Redouten besuchter als jemals; übermütiges Gelächter überjauchzte fast die lauteste Musik, man erhitzte sich beim Chahût, einem nicht sehr zweideutigen Tanze, man schluckte dabei allerlei Eis und sonstig kaltes Getrinke: als plötzlich der lustigste der Arlequine eine allzu große Kühle in den Beinen verspürte und die Maske abnahm und zu aller Welt Verwunderung ein veilchenblaues Gesicht zum Vorschein kam. Man merkte bald, daß solches kein Spaß sei, und das Gelächter verstummte, und mehrere Wagen voll Menschen fuhr man von der Redoute gleich nach dem Hôtel-Dieu, dem Zentralhospitale, wo sie, in ihren abenteuerlichen Maskenkleidern anlangend, gleich verschieden. Da man in der ersten Bestürzung an Ansteckung glaubte und die ältern Gäste des Hôtel-Dieu ein gräßliches Angstgeschrei erhoben, so sind jene Toten, wie man sagt, so schnell beerdigt worden, daß man ihnen nicht einmal die buntscheckigen Narrenkleider auszog, und lustig, wie sie gelebt haben, liegen sie auch lustig im Grabe." ( Heinrich Heine über die Cholera-Epidemie in Paris für die Augsburger »Allgemeine Zeitung«, Paris, 19. April 1832)

Treffen der Société des Amis du Peuple am 7. Mai 1831

An diesem Treffen nahm auch Galois teil. Man hatte ihn wärmstens empfangen, da er bekannt dafür war, lauwarme Geister zum Handeln anzuspornen. Man war sich gleich einig, dass ein bewaffneter Aufstand nötig sei. Man brauchte lediglich ein Datum und einen Vorwand, um den Zorn der Massen zu schüren. Man diskutierte unter anderem, dass eine Leiche, die gerächt werden müsste, sehr nützlich wäre. Ein Held, in dessen Namen die Pariser gegen Louis-Philippes Polizei kämpfen könnten. Galois verblüffte die Anwesenden mit einem unerwarteten und skurrilen Vorschlag: Er wollte das Opfer sein. Sein Leben sei sinnlos geworden. Er wolle es für die einzige Sache opfern, die er liebe: Frankreich. Die Anwesenden protestierten heftig gegen seinen Vorschlag, und man argumentierte, dass er lebend wichtiger für die Revolution sei als tot.

Raspail über Galois

,,Gnade, Gnade für dieses so schwächliche und so tapfere Kind, auf dessen Stirne drei Jahre Studium bereits Furchen so tief wie nach 60 Jahren gelehrtesten Nachdenkens hinterlassen haben; im Namen der Wissenschaft und der Tugend, lasst ihn leben! In drei Jahren wird er der Gelehrte Évariste Galois sein! "

© Bernard Bychan, 2003